CargoCult formierte sich 2012 als Künstler:innenkollektiv in Berlin innerhalb einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme, welche die Eingliederung von Arbeitslosen zum Ziel hatte und hauptsächlich Frauen mit Migrationshintergrund einschloss. Mit temporären Kollaborateur:innen vertritt CargoCult eine künstlerische Position, die die Welt der Kunst mit Mode, Massenmedien und real sozialen Ufern und Kanten verschmilzt. Gänzlich ohne linken Eskapismus und romantisch höchstens in ironischer Tradition, regt CargoCult eine Diskussion innerhalb eines eigenen globalen Raumes an, forscht in und um den jeweiligen Aktions- und Ausstellungsort, entwickelt ortsspezifische Verwebungen und ergründet utopisch-visionäre Praxen mit den Mitteln der Kunst, z.B. mit einer eigenen Enzyklopädie, die in Teilen zum Mitnehmen ist.
Cargo Cult sind Andrea Huyoff (geboren 1976 in Greifswald) und Beate Huss (geboren 1961 in Stuttgart). Beide leben und arbeiten in Berlin und der Uckermark. Andrea Huyoff studierte Bildende Kunst an der Hochschule der Künste, Berlin und der Kunstakademie, Düsseldorf. Beate Huss studierte Modedesign an der Hochschule für Medien und Gestaltung, Hamburg. Ihre letzten Ausstellungen umfassen u.a. »A Drowned Mall« im Haus der Statistik, Berlin (2020) , »RIP Karma« im Rahmen der Berlin Art Week (2018) sowie Beiträge zu Gruppenausstellungen in »Blinde Winkel«, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin (2020), »Hülle, Höhle« im very-project space mit dem Künstlerinnen Duo Peles Empire, Berlin (2019) und »skills« in der Kunsthalle Brandenburg (2018). 2019 waren sie Gastdozentinnen an der Kunsthochschule Kiel und präsentierten ihre Arbeit mit dem fashionlabel Bless unter anderem zusammen in New York.
CargoCult are Andrea Huyoff (born 1976 in Greifswald) and Beate Huss (born 1961 in Stuttgart). Both live and work in Berlin and Uckermark. Andrea Huyoff studied Visual Arts in Hochschule der Künste, Berlin and the Kunstakademie, Düsseldorf. Beate Huss studied Fashion and Design in the Hochschule für Medien und Gestaltung, Hamburg. Their recent exhibitions include, among others, «A Drowned Mall» in Haus der Statistik, Berlin (2020) , «RIP Karma» in Berlin Art Week (2018), a piece in the group exhibition «Blinde Winkel», Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin (2020), «Hülle, Höhle» in Very Projectspace (with artist duo Peles Empire), Berlin (2019) and «skills» in Kunsthalle Brandenburg (2018). In 2019 they were visiting lecturers at Kunsthochschule Kiel and presented their work the fashion label Bless, among others, in New York.
Der Kult hat seine Wurzeln in der Begegnung von Melanesiern und Europäern, die neuartiges und ‚wunderbares‘ Frachtgut (engl. cargo) in ehemals isolierte melanesische Kulturen brachten, und ist als Reaktion auf die teilweise radikalen sozialen Veränderungen durch Missionierung und Kolonialherrschaft zu betrachten. Beobachtet und dokumentiert wurde das Auftreten erstmals Ende des 19. Jahrhunderts. Besonders während und nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr dieses Phänomen eine starke Verbreitung in Neuguinea.
Den Kulten gemein ist der Glaube an den kurz bevorstehenden oder in weiter Ferne liegenden Weltuntergang. Danach sollen die Ahnen wiederkehren und all die Güter, nach denen der Mensch verlangt, mit sich bringen. Neben Vorbereitungen auf diesen Moment, z.B. das Anlegen von Vorratshäusern, kann es auch zu Reaktionen wie dem Verzehr aller Nahrungsmittel kommen.[3] Die Kulte bildeten eine Möglichkeit der geistigen und sozialen Selbstbestimmung gegenüber der christlichen Missionierung, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts stattfand, und der britischen Kolonialherrschaft. Die Kulte hatten neben mythischen, christlichen und apokalyptischen auch rebellische Züge, die Menschen unter dem Schutz der „Religion“ organisierte, um sich gegen die Fremdherrschaft aufzulehnen.[4]
Als die koloniale Ausbeutung des Bodens und der Bewohner durch europäische Unternehmen begann, konnten viele Indigene nichts mit den mitgebrachten Technologien und Werkzeugen, z.B. für die Verarbeitung von Tonnen von Kopra, anfangen. Woher die neuen Dinge stammten, konnten sie sich nicht erklären und schrieben ihnen eine göttliche Herkunft zu.[5] Das Kriegsmaterial, das während des Zweiten Weltkrieges massenhaft von der US-Armee auf diese Inseln abgeworfen wurde (Fertigkleidung, Konservennahrung, Zelte, Waffen und andere Ware), brachte drastische Änderungen des Lebensstils der Inselbewohner mit sich: Sowohl die Soldaten als auch die Einheimischen, die sie beherbergten, wurden mit Materialmengen regelrecht überschüttet. Oft wurden dafür eigene Wohnstätten und Nahrungsvorräte vernichtet und Landepisten und Flugplätze im Dschungel für die erwarteten Frachtflugzeuge gerodet. So wurde etwa Hollandia (heute Port Numbay) zu einer großen Marinebasis ausgebaut, wo 1944 ca. 400.000 US-amerikanische Soldaten stationiert wurden. Die Nachwirkungen dieser Invasion auf die indigene Bevölkerung spiegelte sich in der Nachkriegszeit im Bau zahlreicher „Cargo-Häuser“ wider.[6]
Mit dem Kriegsende wurden die Flughäfen verlassen und kein neues „Cargo“ wurde mehr abgeworfen. Darum bemüht, weiter Cargo per Fallschirm oder Landung zu Wasser zu erhalten, imitierten Kultanhänger die Praxis, die sie bei den Soldaten, Seeleuten und Fliegern gesehen hatten. Sie schnitzten Kopfhörer aus Holz und trugen sie, als würden sie im Flughafentower sitzen. Sie positionierten sich auf den Landebahnen und imitierten die wellenartigen Landungssignale. Sie entzündeten Signalfeuer und -fackeln an den Landebahnen und Leuchttürmen.
Die Kultausübenden nahmen an, die Ausländer verfügten über einen besonderen Kontakt zu den Ahnen, die ihnen als die einzigen Wesen mit der Macht erschienen, solche Reichtümer auszuschütten. Indem sie die Ausländer nachahmten, hofften sie, auch ihnen möge ein solcher Brückenschlag gelingen. In einer Art der sympathetischen Magie bauten sie zum Beispiel lebensgroße Flugzeugmodelle aus Stroh oder schufen Anlagen, die den militärischen Landebahnen nachempfunden waren, in der Hoffnung, neue Flugzeuge anzuziehen.
Die Konfrontation mit den vom traditionellen Leben so unterschiedlichen europäischen Gütern führte oft zu einem Zusammenbruch des ganzen Wertesystems der indigenen Völker und zu einer Neuformung der sozialen Strukturen, in der Hoffnung, das Paradies und die Erlösung im Diesseits zu erreichen.
Die westlichen Menschen führten aus, Reichtum entstehe aus Arbeit und komme auf die Inseln, wenn die Bewohner nur hart genug arbeiteten. Die Kultausübenden beobachteten jedoch, dass die Inselbewohner in den Missionen und den Lagern die härteste Arbeit erledigen mussten, aber den geringsten Teil der Waren erhielten. Westliche Versuche, den Cargo-Kult zu untergraben, indem Führern die Produktion der Güter in Fabriken vorgeführt wurde, scheiterten aus denselben Gründen, da auch hier klar zu erkennen war, dass die Oberschicht der Gesellschaft keineswegs identisch mit den hart Arbeitenden in den Fabriken war.
CARGOCULT: Ist eine Design- und Kunstinitiative, die wir im Zuge der staatlichen Arbeit mit MigrantInnen gründeten um ein freieres Arbeitsfeld zu schaffen. Die entstandenen Kunstwerke zu würdigen, weiterzuentwickeln und Informationen über die migrantischen Hintergründe zu verbreiten ist ursprüngliches Ansinnen von CC.
Hauptbestandteile kooperativen Lernens
Die Begriffe »kooperatives Lernen«, »Gruppenunterricht«, »Gruppenarbeit«, »Lernen in Gruppen«, »collaborative learning« und »cooperative learning« sind nicht einheitlich definiert. Man differenziert jedoch zwischen »collaborative learning« und »cooperative learning« in der Art und Weise der Zusammenarbeit. Ersteres beschreibt ein gemeinsames Bearbeiten einer Aufgabe, bei welchem das Ziel darin besteht, zusammen einen Konsens bzw. die Lösung zu finden. »Cooperative learning« beschreibt ein Aufteilen der Aufgaben, so dass sich jedes Gruppenmitglied mit einer bestimmten Thematik genauer beschäftigt. Erst anschließend werden die Ergebnisse zusammengetragen. Das Grundprinzip des Kooperativen Lernens beruht auf drei Phasen: Think – Pair – Share. In der 1. Phase arbeiten die Schüler alleine. In der 2. Phase besprechen und vergleichen sie ihre Ergebnisse in der Gruppe, bevor sie in der 3. Phase ihre Ergebnisse der Klasse präsentieren.[2]
Individuelle und Gruppen-Verantwortlichkeit
Zentral für das Kooperative Lernen ist, dass jeder sowohl für das Lernen der Gruppe als auch sein eigenes verantwortlich ist.[3] Beim Kooperativen Lernen gibt es zwei Ebenen der Verantwortung: Zum einen gibt es die Verantwortung der gesamten Gruppe für die Erreichung ihrer Gruppenziele und zum anderen die individuelle Verantwortung jedes Gruppenmitglieds, seinen Anteil an der Arbeit zu leisten. Beide Ebenen der Verantwortlichkeit müssen in kooperativen Unterricht integriert sein. Dies wird dadurch erreicht, dass einerseits die Leistung der einzelnen Mitglieder gemessen und zurückgemeldet wird, und andererseits die Belohnungen auf Team-Ebene gegeben werden. Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Gruppenzugehörigkeit und die interpersonale Interaktion zwischen Schülern nur dann höheren Leistungen hervorbringen, wenn die positive Abhängigkeit klar strukturiert ist.
Civic Education
Kooperatives Lernen ist ein Bestandteil der Civic Education und gehört zum "Lernen durch Sprechen". Es beruht auf der Einsicht von John Dewey, dass das gemeinsame Erforschen von Schülern u. a. eine demokratische Lernkultur und damit Demokratie fördert. Auch vermittelt es für die Arbeitswelt notwendige Qualifikationen. Schüler lernen beim kooperativen Lernen kommunikative Kompetenzen wie: Fragen stellen, zuhören, erzählen, im Gespräch neue Ideen bzw. Lösungen entwickeln. Darüber hinaus lernen sie aber auch kooperative Fähigkeiten wie: den anderen respektieren, andere Meinungen respektieren und lernen als gemeinsame Erfahrung erfahren. Es verbindet sich hier also kognitives und soziales Lernen. Da die Schüler beim kooperativen Lernen ihr eigenes Wissen, ihre eigenen Ideen aktiv in den Lernprozess einbringen können, fördert es auch die Lernmotivation und damit den Lernprozess. Kooperatives Lernen sollte komplexeren Methoden der demokratischen Kommunikation (Debating, Deliberieren, Parlamentssimulation, Deliberative Polling) vorangehen. Kooperatives Lernen ist ein komplexes Zusammenspiel von aufgaben- (d.h. Stoff-zentrierter) und personenbezogener Arbeit (Effektivität der Gruppe). Kooperatives Unterrichten ist jedoch nicht gleichzusetzen mit dem Erwerb sozialer Fertigkeiten, da diese ebenso wie fachliche Fähigkeiten zweckgerichtet und präzise beigebracht werden müssen.
Während der Berlin Artweek 2017 entstand im Rahmen einer Ausstellung, bei der CargoCult begleitet von einer Mischung aus Performances und filmischen Dokumentationen ihre SLEEPING BEAUTY ENCYCLOPEDIA III/∞ zeigte, eine aus spontanen konzeptionellen Visionen entsprungene »Erzählung«, die sich seitdem fortlaufend ausbreitet, fortspinnt. Die »Erzählung« ist selbst unsichtbare, metabolistische, ökonomische Apparatur, die in kollaborativem Zusammenwirken Erinnerungen, Wracks, Visionen von Arbeit, Weltinnenraum, weiblichen Körpern und weiblicher Psyche herstellt, projiziert, verwrift. Sie ist unbegrenzt, gleichzeitig Material, Träger, ephemeres Archiv und Verschleifunsmaschinerie und umfasst darin einzelne Narrationen, die legendär und zusammenhängend sind.
Die SLEEPING BEAUTY ENCYCLOPEDIA lässt sich als einer der Ausgangspunkte dieser Arbeit beschreiben. Sie fasst den Versuch, eine anti-formalisierte Wissensordnung herzustellen, die frei flottiert, resilient ist, und subjektiv, eine Sammlung von Überschüssen gegenwärtiger Wissensproduktionen, von Fäden, Versatzstücken, monumental-trivialem, Unplausiblem, Datenmüll, Unvernehmlich gemachten Geschichten und angeträumten Träumen (»Wer hundert Jahre schläft, muss viel träumen«). Es sind Überreste in den Ritzen der Stadt, Verbliebenes, Abgelegtes und Abgefallenes, das in der Arbeit des Kollektivs zu Erzählungen verspoonnen wird. Sie beschreibt darin die Möglichkeit, dazwischen gefallene Geschichten konstanter Arbeit zu verwerten, umwerten, abzulegen, als Form klandestiner Traum- und Trauerarbeit. Die Narrationen greifen Funktionsprinzipen der Enzyklopedie auf, sind jedoch als eigenständige Formationen zu betrachten, als temporäre Wucherungen der Erzählung, in denen installierte Objekte zu Utensilien spontaner Arbeit werden. Diese Arbeit wird ausgeführt durch eine multiple Persönlichkeit, die zeitweise als Operatorin aus der gemeinsamen Aktion heraustritt und übersteuert. Entscheidungen über das Verwinden und Verwerfen von Zusammenhängen im Kleinen und Allgemeinen werden gemeinsam durch ein hochkomplexes, messerscharfes und über die Maßen wirkmächtiges System neuronaler Komposition getroffen. Die Vorbereitung der Performance Erzählung, die in ihrer Dauer mindestens zwei Stunden benötigt und oft darüber hinausgeht nimmt zahlreiche Tage und Wochen der Planung und viele Begegnungen der Künstler in Anspruch.
Im August 2016 campierten mehr als 9000 Menschen im „Dschungel von Calais“, einer Zeltstadt mit provisorischen Unterkünften nahe der französischen Hafenstadt. Sie warteten auf der ehemaligen Mülldeponie auf eine Möglichkeit zur Weiterreise durch den Eurotunnel nach Großbritannien. In einer Ohne-Raum-Reise an diesen Ort arbeitete Cargo Cult an einen musealen Audioguide, der sich mit dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) auseinandersetzte. Die beiden Orte, die mithilfe des Guides zu „Sites“ bestehender Versorgungsstrukturen wurden, wurden mittels eines Portals miteinander verknüpft, das in Calais aus einem Greenscreen-Hintergrundsystem gebaut wurde. Statt einem grünen, wurde ein schwarzes Tuch genutzt, das in der Ausstellung wie auch in der Performance als Platzhalter, Schlagloch und Trauertuch zum Einsatz kam. Die Performance wie die Ausstellung selbst fand in den Räumen einer ehemaligen Schlecker-Filiale statt, die überstürzt verlassen wurde, nachdem das Drogerieunternehmen insolvent ging und über Nacht 25.000 „Schlecker-Frauen“ ihre Arbeitsstelle verloren, und die noch voller Überreste der Arbeit und ihren Strukturgeräten, Regale, Rollkörbe, Steckrahmen war. In Emma W. Howes dreistündiger Performance wird eine Figur zur verwaisten Torhüterhin die die leeren Regale als wüste Reprodzentin vergangener Arbeit, mit der Bewegung der schwarzen Flagge, dem Trauertuch, aus Calais füllt. Die Figur variiert in ihren Gesten und Bewegungen von Hohepriesterin zu Schlüsselkind, aufspannend, versteckend, gelangweilt, auf der Suche nach einem Tunnel im Raum, in den Geräten, in der eigenen Kleidung, im eigenen Körper. Millionen Dinge verschwinden jeden Tag ungesehen aus den sichtbaren ökonomischen Kreisläufen der Drogerie-Filialen, Schaufenster, geschmückter Körper, verbauter Materialien, möblierter Wohnungen. Sie fallen ab, werden weggeworfen, beiseite gelegt, verschwinden in denjenigen Kreisläufen des Warentauschs, die unsichtbar bleiben. Die „Lost Bodies“, abgelegte Körper, die an den Dingen haften, Gelebtes also, das den Körpern an den Dingen bleibt und Dingen an den Körpern, sind ein wiederkehrendes Prinzip der Erzählung, das auch Eingang in die „Sprache“ der Erzählung findet. Einzelne Figurationen von Traum-Abfall, verstümmelte Geschichten, die ebenso wie die Dinge aus den Sichtbarkeiten der Kauf-Spielflächen verschwinden, werden zu Trägern des neuen Imaginären der „Erzählung“: In der zweiten Narration ist es der „Parrot“, der Papagei, der gemeinsam mit einer Kleinfamilie als Stockfoto in die Werbung für das Tierpark Familienfest der HOWOGE geraten ist, das unter einer Brücke verklebt wurde, in der Cargo Cult Evaluationen für die „Bank of Trust“ vornahm. Die Verschleifungen der Erzählung des Papageis, ein Schmuck-Fremder, dessen gelbes Gefieder Bilder von Dschungellandschaften, Luxus-Ressorts und hohem tierischem IQ verplappert, wo auch immer er hinein montiert wird, werden zur für die Narration zur einer Flugschneise, einem Tunnel, einer Möglichkeit des Fortspinnens der Geschichte: Eine sprechende Kuratorin mit überraschendem IQ, die von einer Schauspielerin verkörpert wird, unterhält sich mit zwei unter der Brücke lebenden Männern. Das Gespräch findet im Rahmen einer Evaluationsarbeit für die »Bank of Trust« statt, die ein ebenso wiederkehrendes Element der Erzählung darstellt und die mit Bechern ein finanzielles Imaginäres im öffentlichen Raum einfordert und für Investor*innen so langfristig Vertrauen generiert, während der Papagei seine Flügel schützend über die Transaktionen breitet.
»Ablegen. Geständnisse oder Elektroschrott. Lieber Schrott. Lieber Plastikmüll, ein Gartengerät oder einen Pullover. Nichts gestehen, keine Flagge hissen, kein Glas austrinken, keine Zigarette ausdrücken, nicht gegen einen Baum fahren, nicht über eine Klippe springen, nicht erschießen, nicht begraben wollen. Nicht die Person töten. Stattdessen Ablegen. Einen Polyesterpullover, ablegen, Hülle ablegen, nicht abschütteln, nicht verwandeln, keine Verwandlung, keine Erscheinung, kein Ausblenden mit Vignette, nur hinlegen und weitergehen, mit offenen Augen bis alles liegt, dort und dort, stückweise. Es sind die Letzten Reduzierungen.«
Unbegrenzte, mindestens 3-Stündige Performance.
Perücke, Blumentöpfe, Blumenerde, Sektflasche, Sektglas, Tüten, Strumpfhosen, Ettikettierpistole.
Making a mess. Eine gesichtslose Frauenfigur ist in Bewegung, in Arbeit begriffen, am Tun, in Vollbeschäftigung. Aus ersten Gesten fallen Bilder einer Richtung, einer Finalität der Handlungen, Zielführendes, momentan Zweckhaftes, das Übergehen einer Handlung in die Nächste. Eins- wird zum Anderen, stundenlang bis zeitlos, dabei findet sich nie ein Ende im Sinn-Tun. Das Selbst, die Dinge und Raum erschöpfen sich dabei, vollends, in endloser operativer Verwrackung. The will to exhaust. Es sind Bilder einer Frau auf der Straße, auf dem Parkplatz, zu Hause, in der Möbelausstellung. Suchend, wühlend. Eine Wiedergängerin, die Taschen voller Dinge, Schrott oder Zuhause-Mach-Dinge, Zelt-Teile, Gartenbau, die körperlos, obdachlos einer Spur folgt. Eine Körperattrappe mit krepierendem, sich aufbäumendem Willen. Der Wille wird Handlung, wird Eintopfen, Umtopfen, Abklammern, Umgraben, Abstauben, Betäuben, Betrinken (in Folge unbeholfener Manien: Emotionsregulationsstörung). Strumphosen anziehen, umziehen, überziehen, wie anziehen, Dinge verziehen, sich verziehen. Einpacken, Auspacken, Abhängen, Einhängen, Abtackern, Eintackern, Umtackern, Dazwischen Sich Tackern, Vertackern, Widerstand leisten, Übersprungs-Handeln, stattdessen: Ausräumen. Einräumen, Vorhänge anbringen, Schuhe ausziehen, Strumphose überziehen, Betrinken, doch Eintopfen, Umgraben, Volllaufen lassen, Welt-Tackern, Gott-Stückeln.
Körper verlieren dabei, stückweise.
Die Erde aufwühlen, bis alles in Teilen liegt, dann mit Preisschildern versehen.
Seit der dritten Narration wurde das Kollektiv um die Soundkünstlerin Mars Dietz und Schriftstellerin Anna Gien erweitert. Die Regale der vergangenen Erzählungen werden zu billigen Innenraumorganisatoren. Funktioniales Wohnen als gerätetechnischer Auto-Messianismus mit rekreativem Potential: Scharfkantige Adaption eines Rituals, welches sich der Verkörperung eines Lebens auf Zeit widmet. Behutsam entschleunigte Wucherung in wohlfühliger Umgebung. Heilung, zeitweilige Erlösung und Energy Drink für potentielle Umwälzung.
Ein Mädchen sitzt am Fenster und schüttet ihr schwarzes Haar hinunter.
Pech!, ...Marie.
Es geht steil hinunter in den Hof. Das Fenster ist gefährlich, weil offen, hoch oben im dritten Stock eines Co-Workingspace, der Yogakurse anbietet. Im goldenen Prenzlauer Berg.
Das Mädchen ist noch ein Kind und sieht schon aus wie eine alte, junge Frau von bemerkenswerter Schönheit. Sind es die Erfahrungen der Generationen von Autofensterputzern am Straßenrand die als verdünntes Sidolin-Streifenfrei durch ihre Adern fließen und ihr Wesen älter erscheinen lassen? Oder sind das nur meine verschrobenen und verschwommenen westdeutschen Großstadt-Vorurteile?
Sie ist groß und hager. Sie singt ein Lied.
Ederlezi und die Linien ihrer Handfläche schlagen den Takt auf dem Holz des Fensterkreuzes, an dem kein Jesus hängt. Lendita ich schaue in Deine brennenden Augen, die Dein Geheimnis bereits vor tausend Jahren zu glühender Kohle verbrannt haben. „Woher? Wieso? Warum?“, fragen meine müden Augenringe. Glühende Augen lösen einen Flächenbrand in mir aus. Lendita und Juana singt uns das Lied vom Leben!
Vor einer schwarzen Wand mit verwischten Kreidespuren erinnere ich mich an das andere Mädchen. Sie sieht wirklich noch wie ein Mädchen aus. Sie trägt ein graues Kleid, das einmal schwarz war. Das Sidolin Streifenfrei in den Waschgängen der Waschsalons auf ihrer Route ins Glück haben den schwarzen Farbton herausgezogen, aus ihren Adern aber nicht. Ein tiefes Schwarz geschmückt mit Blumen in den Haaren. Wollen sie, die Blumen, dazu gehören? Zu den Ikea Kinderzimmer-Einbauküchen des betreuten Arbeiten mit Kindern im Coworkingspace, der auch Yogakurse anbietet. Zu den Barbiepuppen, die ohne Berlinpass in einer Welt leben, die es gar nicht geben darf.
Ich sehe Blumen im Haar, eine schwarze Tafel, eine abgewischte Wand, mit Spuren von verschmierter Kreide, Gott sei Dank! Die Tafel gibt nur vor bemerkenswertes Wissen aufzusaugen. Aber da gibt es auch wieder nichts. Weder davor noch dahinter, noch in der Tafel. Ich höre Schreie, ich höre hölzernen Rhythmus. Ich höre und staune. Lendita schreit, so laut, so schön. Lendita schreie zum Fenster hinaus, in den Prenzlauer Berg, in die goldene Frühlingsluft. Die teilnahmslosen Fotografinnen können sie nicht überreden brav zu sein.
Das Mädchen ist schön, das weiß es. Das Mädchen ist stolz. Es ist wild und schreit.
Das Mädchen Lendita und das Mädchen Juana nehmen einen Bleistift und tätowieren ihren Namen in die blasse Haut der Raufasertapete, so wie Popstars ihr Autogramm auf Selfies kritzeln. Die Raufasertapete hängt im Flur eines Co-Workingspace, der auch Yogakurse und betreutes Wohnen für verwirrte Yuppis anbietet. Aber der Maler wird bald kommen und eure Namen werden von der schönen weißen Farbe in Vergessenheit getüncht. Eure Namen und Geschichten werden nicht erwähnt. Euren Ruhm will niemand. Euer Geschrei schon gar nicht.
Die anderen zwei Fotografinnen wissen nur ganz wenig über Juana und Lendita.
Warum sie nicht mit ihnen reden, während sie mit und für sie arbeiten, wissen wir nicht. Ein soziales Projekt. Kinder, Jugendliche, Kinder von Migranten. Wir wollen mehr von ihnen erfahren. Von Lendida und Juana. Also treffen wir sie auf ihrer Reise durch Berlin. Wir wollen die Geschichten hören, die ihre Großmütter ihnen erzählten, an Bettkanten aus Stroh, Gänsefedern, und auch von den Erbsenkeimlingen, die ihren Schlaf störten. So empfindsam sind diese Prinzessinnen dort, aus Zigeun’rien, aus GipsyBadLand. Monate später treffen wir Lendita und Juana wieder. Beim Umblättern einer Zeitschrift, einem Magazin der C/O Berlin E.V. Wir entdecken unser Foto wieder, ohne Namen, weder vom Autor noch vom wunderschönen Wesen, weder die Geschichten, nicht vom Autor, also von uns, von CargoCult, nicht vom Kind, nicht von der Familie, von dem langen Weg nach Deutschland, von dem harten Kampf der Kunst, um’ s Überleben geht es bei beiden, der Abgebildeten und der bildermachenden Künstlerin, deren Botschaft Pixel für Pixel Verantwortung und Möglichkeit programmiert.
Nur ein Abbild, keine Reflektion, nur eine Belichtung 1/1000stel Sekunde, klick-klack, Printmedium, Lendita ohne Namen und ohne Geschichte, Juana, zum gemeinnützigen Objekt heruntergehandelt. Für einen Hochglanz reflektierenden hundsgemeinen Verein, der sich mit dem wunderschönen, blumengeschmückten Elend vor schwarzgewischten Tafeln schmückt. Regiert von einer kalten Königin. Ihr langes graues Kaschmir-Flanellhosenbein verdeckt ihren Kuh-äh,.. Pferdefuß. Sie thront in einem Spiegelpalast, dessen Spiegel die Falten wie Sprünge auf der glatten undurchsichtigen Botox-Hautoberfläche erscheinen lassen. Falten, Sprünge, Scherbenhaufen.
Wir kotzen.
Wir kotzen deshalb vor ihre zwei linken Pferdefüße, weil wir nicht dem Yoga-verbrämten Think Pink Scheiß Verein angehören, im vergoldeten Prenzlauer Berg.
Also, wir kotzen, ganz viel und auch ganz eklig, aber leider dringt sie, die Kotze, das Erbrochene, Erbrechen ist ein natürlicher Reflex zur Vermeidung von Vergiftungen, nicht durch den harten Glanz der Oberfläche in das herzlose Innere des vereinten Wesens ein. (Seit 2015 bietet C/O Berlin das neue Programm Perspectives für Kinder und Jugendliche in sozial benachteiligten Lebenssituationen an. In speziell auf das jeweilige Lebensumfeld der jungen Teilnehmer konzipierten Workshops schafft C/O Berlin vielfältigen Freiraum und gibt Impulse für neue Erfahrungen und lebendige Experimente – vor Ort in Kinder- und Jugendheimen und Willkommensklassen sowie in der Education Unit bei C/O Berlin.)
Ein Bach, ein klarer wilder Bach. Weiße Blumen spielen auf seinen schwarzen Wellen.
Ein Foto in einer Zeitschrift, ohne Namen, nur Gesicht, so wie es Werbung eben schon immer macht. Ein Gesicht ohne Namen, vergessen der Name, die Blumen im Haar sind schön, die nehmen wir, vergessen die Geschichte, vergessen die Heimat, vergessen die Flucht, vergessen die Künstler, etwa vergessen, dass auch sie etwas zum Leben brauchen, die verrückten Künstler mit ihren hübschen Bildern?! Die sind nicht immer mit bekannten und wohlhabenden Hochschul- und Filmschaffenden Männern verheiratet, die ihre Brotlosigkeit mitfinanzieren. Und schon gar nicht ihre Geliebten!
Die größte Katastrophe ist das Vergessen, lese ich auf einem Plakat in riesigen schwarzen Buchstaben geschrieben, beim Vorbeifahren im öffentlichen Nahverkehrsmittellos sitzend.
Vergessen die Fotografin, vergessen und in einen tiefen Schlaf gehüllt.
Sleeping Beauty brüllt.
Das Vergessen ist ein Kopfkissen, gefüllt mit Daunenbabyfedern, am lebendigen Baby-Kückenleib aus dem Baby-Leib gerissen. Aua, bei jedem Zupfen einer weichen, wärmenden Feder.
Also, ich wieder und wieder wiederhole, je répète ( mais je ne regrette rien):
Vergessen ist das Federkissen, gedrückt auf ein unschuldiges Kindergesicht. Auf der einen Seite höre ich: „Huch!“ und „Sorry, das habe ich total vergessen und gar nicht gewollt...!?“ Und auf der anderen Seite höre ich ein Zappeln, das verzweifelt nach Luft ringt.
Und auf nochmal einer anderen Seite höre ich das Hecheln eines Herabschauenden Hundes auf einer biobaumwollenen Yogamatte und auf der gegenüberliegenden Seite höre ich eine Fahne im Sturm und ich höre den Duft des Rauches, der aus den lauten Flammen aufsteigt. Die Fahne singt das Lied von Lendita und Juana, begleitet von einem Chor von namenlosen Künstlern. Sie singen ihr Lied in die tauben Ohren einer kalten Welt, durch ein vereistes Trommelfell, eines virtuellen Tieres, das nicht nur gefährlich aussieht, sondern auch gefährlich ist. Sie singen so lange, auch wenn sie heißer sind, singen sie bis dieses Trommelfell platzt und das Biest die Orientierung verliert und sich im glänzenden Spiegelwald verirrt und verhungert.
Und die Chöre sterben nicht und leben immer weiter.
Omrans Geschichte Wir trafen Omran während unserer Arbeit als Anleiterinnen in der Textilwerkstatt eines öffentlichen Trägers. Omran war ein Teilnehmer der „Unter 25 jährigen”, ohne Ausbildung, ohne Arbeit, ohne Hoffnung. Die außergewöhnliche Begabung seine rauschende Phantasie in Zeichnungen auszudrücken ist uns sofort aufgefallen. Omran wurde von Stimmen jenseits unserer normalbegabten Vorstellungskraft daran gehindert seine Arbeit in der Textilwerkstatt fortzuführen. Die Stimmen lockten ihn weg von uns. In einem Wald von Neubauten an denen Satellitenschüsseln blühen, an der Endstation des maroden Aufzuges in der 4. Etagen nahmen wir seine Spur wieder auf. Sie führte uns in den 6. Stock des Trabanten, vor eine Wohnungstür ohne Hoffnung, ohne Namensschild, ohne Klingel.
Omrams Story We met Omran during our Work as Instructors at the textile workshop of a public body. Omran was a participant of the "Under 25s", with no education, no job, no hope. His extraordinary talent to express his rushing fantasy in drawings was immediately noticeable. Omran was unable to continue his work in the textile workshop due to voices beyond our average gifted imagination. The voices lured him away from us. In a forest of new buildings where satellite dishes bloom, we took up his trail again at the final destination of the ailing elevator on the 4th floor. It led us to the 6th floor of the guard, infront of a door without hope, without a nameplate, without a doorbell.
(Eine Daily Soap über den Arbeitsalltag in einer MAE Werkstatt am Rande des Arbeitsschutzes und weit unter dem Mindestlohn.)
Berlin, draußen:
Arbeitsamt, Herbst, kurz vor Sonnenuntergang, dichter Nebel, ein eisiger Herbststurm wirbelt alte Blätter auf. Die farblosen Agenten der Agentur für Arbeit sitzen streng aufgereiht in einem Blätterwald, unter weißen Bäumen. Die Blätter, die an den Ästen hängen sind Formulare aus grauem Umweltpapier, hinten, vorne und um Platz und Gelder zu sparen* sogar noch in der Mitte bedruckt. Das Tippen von Schreibmaschinen, die Blätter wippen im Takt zu ihrem eintönigen Klang. Alles wirkt sehr verschlafen, trotz der täuschend echten Betriebsamkeit. Dicker farbloser Agent sitzt hinter einem Schreibtisch gequetscht und bohrt in der Nase.
Geräusch: Klopfen an der Tür.
Asifa kommt mit einem elegant zum Turban gewickelten Kopftuch in aufrechter Haltung herein. Sie kämpft sich durch die abgefallenen Formular-Blätter ihren Weg zu einem sehr niederen Schemel vor dem viel zu hohen Schreibtisch. Ihr Gang wird auf dem beschwerlichen Weg zum Schreibtisch immer schleppender, ihre Haltung immer gebeugter. In dieser gebeugten Haltung schaut sie nach oben, hinauf zu dem riesigen, fetten Agenten.
Agent: Geschlecht?
Asifa, freundlich: Guten Tag!
Agent: Alter?
Asifa Natalia: ich hätte gerne... 63.
Agent: Schulabschluss?
Asifa: Abitur, ...eine Bestätigung...
Agent: Studium?
Asifa: zur Arbeitsunfähigkeit,...Medizin
Agent: Diplom?
Asifa: eins Komma Null...
Agent: ...können sie häkeln
Asifa: ähm...
Agent: Sticken?
Asifa: Nein
Agent schüttelt verächtlich den Kopf: Nähen?
Asifa: Wunden?
Agent: Nein!! Stopfen?
Asifa: Löcher?
Asifas Turban verwandelt sich in einen blutgetränkten Kopfverband. Asifa erinnert sich daran, wie sie im kurdischen Bürgerkrieg einem angeschossenen Jungen ein Loch im Kopf zu genäht hat.
Asifa: Löcher...-Ja!!
Baum raschelt vehement mit seinen Blättern, Aktenbündel fallen von den Ästen und landen mit einem Knall auf dem Schreibtisch. Staub wirbelt auf. Der Agent hüstelt.
Agent: da haben wir was für Sie.
...eine Textilwerkstatt im mittleren Osten der Stadt. Der Mehraufwand ist beschädigt. Drum nur 1 Euro 50 auf die Stunde. Zusatzverdienst kostenlos.
„Stopfen für die fadenscheinige Öffentlichkeit. E.V.“
6 Stunden, sogar ohne Pause!
Hier unterschreiben, Sie können doch schreiben, oder?
Asifa:....
Der Agent greift Asifa am Turban stempelt ihr eine Nummer auf die Stirn schmeißt sie in die Schublade eines uralten, militärgrünen verrosteten Karteikartenregales und stößt die Lade zu.
Berlin, 6:30 Uhr, Herbst
Asifa sitzt in der überfüllten U-Bahn, des modehauptstädtischen Berliner Verkehrsverbundes. Die arbeitende und deshalb völlig übermüdete Bevölkerung ist mit Mobilen Telefonen verknotet. Ein abgemagertes Supermodel, langbeinig und trotzdem arbeitslos bahnt sich einen Weg durch den Mittelgang. Das bleierne Gewicht eines Stapels hochglänzender Zeitschriften auf dem Arm lässt sie beinahe zusammenbrechen: „Guten Morgen, mein Name ist Claudia, Claudia Schiffer, ich will sie nicht nerven, aber ich bin arbeits- und obdachlos, verkaufe für ein gesundes blankes Knäckebrot meine Seele inklusive dem Abo der deutschen Vogue“ Hinter ihr in einer Schlange aufgereiht der schwule Bürgermeister: „Guten Tag, ich bin bald arbeitslos und will sie nicht nerven...“
Berlin, früher Morgen, eiskalt
Verwaiste Strasse führt zu einem verwaisten Hinterhof eines verwaisten Industriegebietes. Der Wind weht zerknülltes, vergilbtes graues Ämter-Papier vor sich her und weist Asifa den Weg zu ihrer neuen Arbeitsstätte. Auf einem ausgedrucktem Din A 4 Papier mit Paketklebeband an die nackte Wand angeklebt steht in schäbigen Buchstaben: „Werkstatt der Stopfen für die fadenscheinige Öffentlichkeit E.V.“
Drinnen: Schmutziges Sonnenlicht kämpft sich durch die zerknickte Jalousie einer schmierigen Fensterscheibe und wirft einen Schlagschatten auf das tätowierte Gehirn eines alkoholsüchtigen Ex-Häftling und Heimkind mit Migrationshintergrund.
Zur selben Zeit an einem anderen Ort der Metropole....
* nicht etwa aus umweltschonenden Gründen
(A daily soap on the everyday work in a MAE workshop on the outskirts of occupational safety and well below the minimum wage.)
Berlin, outside:
Labour Office, autumn, just before sunset, dense fog, an icy autumn storm whirls up old leaves.
The colourless agents of the Employment Agency sit strictly lined up in a forest of leaves, under white trees. The leaves that hang on the branches are forms on gray recycled paper, back, front, and to save space and money * even printed upon in the center. The tapping of typewriters, the leaves bouncing in time with their monotonous sound. Everything seemed very sleepy, despite the deceptively real activity. Fat colourless agent is squashed behind a desk and picking his nose.
Noise: knock on the door.
Asifa comes in with an elegant turban wrapped headscarf to enter into an upright position. She struggles through the fallen form-leaves to get to a very low stool in front of the excessively high desk. Her journey to the desk is increasingly sluggish, her stance remains bent. In this flexed position she looks up, up at the huge, fat agent.
Agent: sex?
Asifa friendly: Good day!
Agent: age?
Asifa Natalia: I would like a ... 63.
Agent: Graduate degree?
Asifa: High School, ... confirmation ...
Agent: Studies?
Asifa: for my inability to work… medicine ...
Agent: diploma?
Asifa: one point zero ...
Agent: ... can you crochet
Asifa: um ...
Agent: Do embroidery?
Asifa: No
Agent shakes his head disdainfully: sewing?
Asifa: wounds?
Agent: No !! Plug?
Asifa: holes?
Asifas turban turns into a blood-soaked head bandage . Asifa remembers how she had to sew a hole in the head of a wounded boy in the Kurdish civil war.
Asifa: holes ...- Yes !!
Tree rustles vigorously with its leaves, bundles of papers fall from the branches and land on the desk with a bang. Dust swirls. The agent coughs.
Agent: well then we have something for you.
... a textile workshop in the middle east. The additional cost is damaged. Therefore only 1 euro 50 for the hour. Extra Income free. "Plug for the specious public. E.V. " 6 hours, even without a break! Sign here, you can write, right?
Asifa: ....
The agent grabs Asifas turban and stampes a number on her forehead and throws her into the drawer of an ancient, military green rusted flashcards shelf and pushes it closed
Berlin 6:30 am, autumn
Asifa sits in the crowded subway, of the fashion capital Berlin's transport network. The working and therefore completely overtired population is interlinked through mobile phones. An emaciated supermodel, long legged and yet unemployed ,blazes her way down the aisle. The heavy weight of a stack of high-gloss magazines on the arm almost make her collapse: "Good morning, my name is Claudia, Claudia Schiffer, I don’t want to bother, but I'm unemployed and homeless, I will sell my soul including the subscription to German Vogue for a healthy bare crisp bread.”
Behind her standing in a queue the gay mayor says: "Good day, I will soon be unemployed and do not want to annoy you ..."
Berlin, early morning, ice-cold
Abandoned road leads to a lonely backyard of a deserted industrial area. The wind is blowing crumpled, yellowed grey office paper around and guides Asifa to her new workplace. Glued on a hard Din A 4 paper with packing tape on the bare wall is written in shabby letters: "Workshop of the plug for the specious public EV"
inside: discolored sunlight struggles through the bruised blind of a greasy window and casts a shadow onto the tattooed brain of an alcohol-addicted ex-con and foster child with an immigration background.
At the same time in another place of the metropolis…
CargoCult formierte sich 2012 als Künstler:innenkollektiv in Berlin innerhalb einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme, welche die Eingliederung von Arbeitslosen zum Ziel hatte und hauptsächlich Frauen mit Migrationshintergrund einschloss. Mit temporären Kollaborateur:innen vertritt CargoCult eine künstlerische Position, die die Welt der Kunst mit Mode, Massenmedien und real sozialen Ufern und Kanten verschmilzt. Gänzlich ohne linken Eskapismus und romantisch höchstens in ironischer Tradition, regt CargoCult eine Diskussion innerhalb eines eigenen globalen Raumes an, forscht in und um den jeweiligen Aktions- und Ausstellungsort, entwickelt ortsspezifische Verwebungen und ergründet utopisch-visionäre Praxen mit den Mitteln der Kunst, z.B. mit einer eigenen Enzyklopädie, die in Teilen zum Mitnehmen ist.
Cargo Cult sind Andrea Huyoff (geboren 1976 in Greifswald) und Beate Huss (geboren 1961 in Stuttgart). Beide leben und arbeiten in Berlin und der Uckermark. Andrea Huyoff studierte Bildende Kunst an der Hochschule der Künste, Berlin und der Kunstakademie, Düsseldorf. Beate Huss studierte Modedesign an der Hochschule für Medien und Gestaltung, Hamburg. Ihre letzten Ausstellungen umfassen u.a. »A Drowned Mall« im Haus der Statistik, Berlin (2020) , »RIP Karma« im Rahmen der Berlin Art Week (2018) sowie Beiträge zu Gruppenausstellungen in »Blinde Winkel«, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin (2020), »Hülle, Höhle« im very-project space mit dem Künstlerinnen Duo Peles Empire, Berlin (2019) und »skills« in der Kunsthalle Brandenburg (2018). 2019 waren sie Gastdozentinnen an der Kunsthochschule Kiel und präsentierten ihre Arbeit mit dem fashionlabel Bless unter anderem zusammen in New York.
CargoCult are Andrea Huyoff (born 1976 in Greifswald) and Beate Huss (born 1961 in Stuttgart). Both live and work in Berlin and Uckermark. Andrea Huyoff studied Visual Arts in Hochschule der Künste, Berlin and the Kunstakademie, Düsseldorf. Beate Huss studied Fashion and Design in the Hochschule für Medien und Gestaltung, Hamburg. Their recent exhibitions include, among others, «A Drowned Mall» in Haus der Statistik, Berlin (2020) , «RIP Karma» in Berlin Art Week (2018), a piece in the group exhibition «Blinde Winkel», Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin (2020), «Hülle, Höhle» in Very Projectspace (with artist duo Peles Empire), Berlin (2019) and «skills» in Kunsthalle Brandenburg (2018). In 2019 they were visiting lecturers at Kunsthochschule Kiel and presented their work the fashion label Bless, among others, in New York.
Der Kult hat seine Wurzeln in der Begegnung von Melanesiern und Europäern, die neuartiges und ‚wunderbares‘ Frachtgut (engl. cargo) in ehemals isolierte melanesische Kulturen brachten, und ist als Reaktion auf die teilweise radikalen sozialen Veränderungen durch Missionierung und Kolonialherrschaft zu betrachten. Beobachtet und dokumentiert wurde das Auftreten erstmals Ende des 19. Jahrhunderts. Besonders während und nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr dieses Phänomen eine starke Verbreitung in Neuguinea.
Den Kulten gemein ist der Glaube an den kurz bevorstehenden oder in weiter Ferne liegenden Weltuntergang. Danach sollen die Ahnen wiederkehren und all die Güter, nach denen der Mensch verlangt, mit sich bringen. Neben Vorbereitungen auf diesen Moment, z.B. das Anlegen von Vorratshäusern, kann es auch zu Reaktionen wie dem Verzehr aller Nahrungsmittel kommen.[3] Die Kulte bildeten eine Möglichkeit der geistigen und sozialen Selbstbestimmung gegenüber der christlichen Missionierung, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts stattfand, und der britischen Kolonialherrschaft. Die Kulte hatten neben mythischen, christlichen und apokalyptischen auch rebellische Züge, die Menschen unter dem Schutz der „Religion“ organisierte, um sich gegen die Fremdherrschaft aufzulehnen.[4]
Als die koloniale Ausbeutung des Bodens und der Bewohner durch europäische Unternehmen begann, konnten viele Indigene nichts mit den mitgebrachten Technologien und Werkzeugen, z.B. für die Verarbeitung von Tonnen von Kopra, anfangen. Woher die neuen Dinge stammten, konnten sie sich nicht erklären und schrieben ihnen eine göttliche Herkunft zu.[5] Das Kriegsmaterial, das während des Zweiten Weltkrieges massenhaft von der US-Armee auf diese Inseln abgeworfen wurde (Fertigkleidung, Konservennahrung, Zelte, Waffen und andere Ware), brachte drastische Änderungen des Lebensstils der Inselbewohner mit sich: Sowohl die Soldaten als auch die Einheimischen, die sie beherbergten, wurden mit Materialmengen regelrecht überschüttet. Oft wurden dafür eigene Wohnstätten und Nahrungsvorräte vernichtet und Landepisten und Flugplätze im Dschungel für die erwarteten Frachtflugzeuge gerodet. So wurde etwa Hollandia (heute Port Numbay) zu einer großen Marinebasis ausgebaut, wo 1944 ca. 400.000 US-amerikanische Soldaten stationiert wurden. Die Nachwirkungen dieser Invasion auf die indigene Bevölkerung spiegelte sich in der Nachkriegszeit im Bau zahlreicher „Cargo-Häuser“ wider.[6]
Mit dem Kriegsende wurden die Flughäfen verlassen und kein neues „Cargo“ wurde mehr abgeworfen. Darum bemüht, weiter Cargo per Fallschirm oder Landung zu Wasser zu erhalten, imitierten Kultanhänger die Praxis, die sie bei den Soldaten, Seeleuten und Fliegern gesehen hatten. Sie schnitzten Kopfhörer aus Holz und trugen sie, als würden sie im Flughafentower sitzen. Sie positionierten sich auf den Landebahnen und imitierten die wellenartigen Landungssignale. Sie entzündeten Signalfeuer und -fackeln an den Landebahnen und Leuchttürmen.
Die Kultausübenden nahmen an, die Ausländer verfügten über einen besonderen Kontakt zu den Ahnen, die ihnen als die einzigen Wesen mit der Macht erschienen, solche Reichtümer auszuschütten. Indem sie die Ausländer nachahmten, hofften sie, auch ihnen möge ein solcher Brückenschlag gelingen. In einer Art der sympathetischen Magie bauten sie zum Beispiel lebensgroße Flugzeugmodelle aus Stroh oder schufen Anlagen, die den militärischen Landebahnen nachempfunden waren, in der Hoffnung, neue Flugzeuge anzuziehen.
Die Konfrontation mit den vom traditionellen Leben so unterschiedlichen europäischen Gütern führte oft zu einem Zusammenbruch des ganzen Wertesystems der indigenen Völker und zu einer Neuformung der sozialen Strukturen, in der Hoffnung, das Paradies und die Erlösung im Diesseits zu erreichen.
Die westlichen Menschen führten aus, Reichtum entstehe aus Arbeit und komme auf die Inseln, wenn die Bewohner nur hart genug arbeiteten. Die Kultausübenden beobachteten jedoch, dass die Inselbewohner in den Missionen und den Lagern die härteste Arbeit erledigen mussten, aber den geringsten Teil der Waren erhielten. Westliche Versuche, den Cargo-Kult zu untergraben, indem Führern die Produktion der Güter in Fabriken vorgeführt wurde, scheiterten aus denselben Gründen, da auch hier klar zu erkennen war, dass die Oberschicht der Gesellschaft keineswegs identisch mit den hart Arbeitenden in den Fabriken war.
CARGOCULT: Ist eine Design- und Kunstinitiative, die wir im Zuge der staatlichen Arbeit mit MigrantInnen gründeten um ein freieres Arbeitsfeld zu schaffen. Die entstandenen Kunstwerke zu würdigen, weiterzuentwickeln und Informationen über die migrantischen Hintergründe zu verbreiten ist ursprüngliches Ansinnen von CC.
Hauptbestandteile kooperativen Lernens
Die Begriffe »kooperatives Lernen«, »Gruppenunterricht«, »Gruppenarbeit«, »Lernen in Gruppen«, »collaborative learning« und »cooperative learning« sind nicht einheitlich definiert. Man differenziert jedoch zwischen »collaborative learning« und »cooperative learning« in der Art und Weise der Zusammenarbeit. Ersteres beschreibt ein gemeinsames Bearbeiten einer Aufgabe, bei welchem das Ziel darin besteht, zusammen einen Konsens bzw. die Lösung zu finden. »Cooperative learning« beschreibt ein Aufteilen der Aufgaben, so dass sich jedes Gruppenmitglied mit einer bestimmten Thematik genauer beschäftigt. Erst anschließend werden die Ergebnisse zusammengetragen. Das Grundprinzip des Kooperativen Lernens beruht auf drei Phasen: Think – Pair – Share. In der 1. Phase arbeiten die Schüler alleine. In der 2. Phase besprechen und vergleichen sie ihre Ergebnisse in der Gruppe, bevor sie in der 3. Phase ihre Ergebnisse der Klasse präsentieren.[2]
Individuelle und Gruppen-Verantwortlichkeit
Zentral für das Kooperative Lernen ist, dass jeder sowohl für das Lernen der Gruppe als auch sein eigenes verantwortlich ist.[3] Beim Kooperativen Lernen gibt es zwei Ebenen der Verantwortung: Zum einen gibt es die Verantwortung der gesamten Gruppe für die Erreichung ihrer Gruppenziele und zum anderen die individuelle Verantwortung jedes Gruppenmitglieds, seinen Anteil an der Arbeit zu leisten. Beide Ebenen der Verantwortlichkeit müssen in kooperativen Unterricht integriert sein. Dies wird dadurch erreicht, dass einerseits die Leistung der einzelnen Mitglieder gemessen und zurückgemeldet wird, und andererseits die Belohnungen auf Team-Ebene gegeben werden. Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Gruppenzugehörigkeit und die interpersonale Interaktion zwischen Schülern nur dann höheren Leistungen hervorbringen, wenn die positive Abhängigkeit klar strukturiert ist.
Civic Education
Kooperatives Lernen ist ein Bestandteil der Civic Education und gehört zum "Lernen durch Sprechen". Es beruht auf der Einsicht von John Dewey, dass das gemeinsame Erforschen von Schülern u. a. eine demokratische Lernkultur und damit Demokratie fördert. Auch vermittelt es für die Arbeitswelt notwendige Qualifikationen. Schüler lernen beim kooperativen Lernen kommunikative Kompetenzen wie: Fragen stellen, zuhören, erzählen, im Gespräch neue Ideen bzw. Lösungen entwickeln. Darüber hinaus lernen sie aber auch kooperative Fähigkeiten wie: den anderen respektieren, andere Meinungen respektieren und lernen als gemeinsame Erfahrung erfahren. Es verbindet sich hier also kognitives und soziales Lernen. Da die Schüler beim kooperativen Lernen ihr eigenes Wissen, ihre eigenen Ideen aktiv in den Lernprozess einbringen können, fördert es auch die Lernmotivation und damit den Lernprozess. Kooperatives Lernen sollte komplexeren Methoden der demokratischen Kommunikation (Debating, Deliberieren, Parlamentssimulation, Deliberative Polling) vorangehen. Kooperatives Lernen ist ein komplexes Zusammenspiel von aufgaben- (d.h. Stoff-zentrierter) und personenbezogener Arbeit (Effektivität der Gruppe). Kooperatives Unterrichten ist jedoch nicht gleichzusetzen mit dem Erwerb sozialer Fertigkeiten, da diese ebenso wie fachliche Fähigkeiten zweckgerichtet und präzise beigebracht werden müssen.
Während der Berlin Artweek 2017 entstand im Rahmen einer Ausstellung, bei der CargoCult begleitet von einer Mischung aus Performances und filmischen Dokumentationen ihre SLEEPING BEAUTY ENCYCLOPEDIA III/∞ zeigte, eine aus spontanen konzeptionellen Visionen entsprungene »Erzählung«, die sich seitdem fortlaufend ausbreitet, fortspinnt. Die »Erzählung« ist selbst unsichtbare, metabolistische, ökonomische Apparatur, die in kollaborativem Zusammenwirken Erinnerungen, Wracks, Visionen von Arbeit, Weltinnenraum, weiblichen Körpern und weiblicher Psyche herstellt, projiziert, verwrift. Sie ist unbegrenzt, gleichzeitig Material, Träger, ephemeres Archiv und Verschleifunsmaschinerie und umfasst darin einzelne Narrationen, die legendär und zusammenhängend sind.
Die SLEEPING BEAUTY ENCYCLOPEDIA lässt sich als einer der Ausgangspunkte dieser Arbeit beschreiben. Sie fasst den Versuch, eine anti-formalisierte Wissensordnung herzustellen, die frei flottiert, resilient ist, und subjektiv, eine Sammlung von Überschüssen gegenwärtiger Wissensproduktionen, von Fäden, Versatzstücken, monumental-trivialem, Unplausiblem, Datenmüll, Unvernehmlich gemachten Geschichten und angeträumten Träumen (»Wer hundert Jahre schläft, muss viel träumen«). Es sind Überreste in den Ritzen der Stadt, Verbliebenes, Abgelegtes und Abgefallenes, das in der Arbeit des Kollektivs zu Erzählungen verspoonnen wird. Sie beschreibt darin die Möglichkeit, dazwischen gefallene Geschichten konstanter Arbeit zu verwerten, umwerten, abzulegen, als Form klandestiner Traum- und Trauerarbeit. Die Narrationen greifen Funktionsprinzipen der Enzyklopedie auf, sind jedoch als eigenständige Formationen zu betrachten, als temporäre Wucherungen der Erzählung, in denen installierte Objekte zu Utensilien spontaner Arbeit werden. Diese Arbeit wird ausgeführt durch eine multiple Persönlichkeit, die zeitweise als Operatorin aus der gemeinsamen Aktion heraustritt und übersteuert. Entscheidungen über das Verwinden und Verwerfen von Zusammenhängen im Kleinen und Allgemeinen werden gemeinsam durch ein hochkomplexes, messerscharfes und über die Maßen wirkmächtiges System neuronaler Komposition getroffen. Die Vorbereitung der Performance Erzählung, die in ihrer Dauer mindestens zwei Stunden benötigt und oft darüber hinausgeht nimmt zahlreiche Tage und Wochen der Planung und viele Begegnungen der Künstler in Anspruch.
Im August 2016 campierten mehr als 9000 Menschen im „Dschungel von Calais“, einer Zeltstadt mit provisorischen Unterkünften nahe der französischen Hafenstadt. Sie warteten auf der ehemaligen Mülldeponie auf eine Möglichkeit zur Weiterreise durch den Eurotunnel nach Großbritannien. In einer Ohne-Raum-Reise an diesen Ort arbeitete Cargo Cult an einen musealen Audioguide, der sich mit dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) auseinandersetzte. Die beiden Orte, die mithilfe des Guides zu „Sites“ bestehender Versorgungsstrukturen wurden, wurden mittels eines Portals miteinander verknüpft, das in Calais aus einem Greenscreen-Hintergrundsystem gebaut wurde. Statt einem grünen, wurde ein schwarzes Tuch genutzt, das in der Ausstellung wie auch in der Performance als Platzhalter, Schlagloch und Trauertuch zum Einsatz kam. Die Performance wie die Ausstellung selbst fand in den Räumen einer ehemaligen Schlecker-Filiale statt, die überstürzt verlassen wurde, nachdem das Drogerieunternehmen insolvent ging und über Nacht 25.000 „Schlecker-Frauen“ ihre Arbeitsstelle verloren, und die noch voller Überreste der Arbeit und ihren Strukturgeräten, Regale, Rollkörbe, Steckrahmen war. In Emma W. Howes dreistündiger Performance wird eine Figur zur verwaisten Torhüterhin die die leeren Regale als wüste Reprodzentin vergangener Arbeit, mit der Bewegung der schwarzen Flagge, dem Trauertuch, aus Calais füllt. Die Figur variiert in ihren Gesten und Bewegungen von Hohepriesterin zu Schlüsselkind, aufspannend, versteckend, gelangweilt, auf der Suche nach einem Tunnel im Raum, in den Geräten, in der eigenen Kleidung, im eigenen Körper. Millionen Dinge verschwinden jeden Tag ungesehen aus den sichtbaren ökonomischen Kreisläufen der Drogerie-Filialen, Schaufenster, geschmückter Körper, verbauter Materialien, möblierter Wohnungen. Sie fallen ab, werden weggeworfen, beiseite gelegt, verschwinden in denjenigen Kreisläufen des Warentauschs, die unsichtbar bleiben. Die „Lost Bodies“, abgelegte Körper, die an den Dingen haften, Gelebtes also, das den Körpern an den Dingen bleibt und Dingen an den Körpern, sind ein wiederkehrendes Prinzip der Erzählung, das auch Eingang in die „Sprache“ der Erzählung findet. Einzelne Figurationen von Traum-Abfall, verstümmelte Geschichten, die ebenso wie die Dinge aus den Sichtbarkeiten der Kauf-Spielflächen verschwinden, werden zu Trägern des neuen Imaginären der „Erzählung“: In der zweiten Narration ist es der „Parrot“, der Papagei, der gemeinsam mit einer Kleinfamilie als Stockfoto in die Werbung für das Tierpark Familienfest der HOWOGE geraten ist, das unter einer Brücke verklebt wurde, in der Cargo Cult Evaluationen für die „Bank of Trust“ vornahm. Die Verschleifungen der Erzählung des Papageis, ein Schmuck-Fremder, dessen gelbes Gefieder Bilder von Dschungellandschaften, Luxus-Ressorts und hohem tierischem IQ verplappert, wo auch immer er hinein montiert wird, werden zur für die Narration zur einer Flugschneise, einem Tunnel, einer Möglichkeit des Fortspinnens der Geschichte: Eine sprechende Kuratorin mit überraschendem IQ, die von einer Schauspielerin verkörpert wird, unterhält sich mit zwei unter der Brücke lebenden Männern. Das Gespräch findet im Rahmen einer Evaluationsarbeit für die »Bank of Trust« statt, die ein ebenso wiederkehrendes Element der Erzählung darstellt und die mit Bechern ein finanzielles Imaginäres im öffentlichen Raum einfordert und für Investor*innen so langfristig Vertrauen generiert, während der Papagei seine Flügel schützend über die Transaktionen breitet.
»Ablegen. Geständnisse oder Elektroschrott. Lieber Schrott. Lieber Plastikmüll, ein Gartengerät oder einen Pullover. Nichts gestehen, keine Flagge hissen, kein Glas austrinken, keine Zigarette ausdrücken, nicht gegen einen Baum fahren, nicht über eine Klippe springen, nicht erschießen, nicht begraben wollen. Nicht die Person töten. Stattdessen Ablegen. Einen Polyesterpullover, ablegen, Hülle ablegen, nicht abschütteln, nicht verwandeln, keine Verwandlung, keine Erscheinung, kein Ausblenden mit Vignette, nur hinlegen und weitergehen, mit offenen Augen bis alles liegt, dort und dort, stückweise. Es sind die Letzten Reduzierungen.«
Unbegrenzte, mindestens 3-Stündige Performance.
Perücke, Blumentöpfe, Blumenerde, Sektflasche, Sektglas, Tüten, Strumpfhosen, Ettikettierpistole.
Making a mess. Eine gesichtslose Frauenfigur ist in Bewegung, in Arbeit begriffen, am Tun, in Vollbeschäftigung. Aus ersten Gesten fallen Bilder einer Richtung, einer Finalität der Handlungen, Zielführendes, momentan Zweckhaftes, das Übergehen einer Handlung in die Nächste. Eins- wird zum Anderen, stundenlang bis zeitlos, dabei findet sich nie ein Ende im Sinn-Tun. Das Selbst, die Dinge und Raum erschöpfen sich dabei, vollends, in endloser operativer Verwrackung. The will to exhaust. Es sind Bilder einer Frau auf der Straße, auf dem Parkplatz, zu Hause, in der Möbelausstellung. Suchend, wühlend. Eine Wiedergängerin, die Taschen voller Dinge, Schrott oder Zuhause-Mach-Dinge, Zelt-Teile, Gartenbau, die körperlos, obdachlos einer Spur folgt. Eine Körperattrappe mit krepierendem, sich aufbäumendem Willen. Der Wille wird Handlung, wird Eintopfen, Umtopfen, Abklammern, Umgraben, Abstauben, Betäuben, Betrinken (in Folge unbeholfener Manien: Emotionsregulationsstörung). Strumphosen anziehen, umziehen, überziehen, wie anziehen, Dinge verziehen, sich verziehen. Einpacken, Auspacken, Abhängen, Einhängen, Abtackern, Eintackern, Umtackern, Dazwischen Sich Tackern, Vertackern, Widerstand leisten, Übersprungs-Handeln, stattdessen: Ausräumen. Einräumen, Vorhänge anbringen, Schuhe ausziehen, Strumphose überziehen, Betrinken, doch Eintopfen, Umgraben, Volllaufen lassen, Welt-Tackern, Gott-Stückeln.
Körper verlieren dabei, stückweise.
Die Erde aufwühlen, bis alles in Teilen liegt, dann mit Preisschildern versehen.
Seit der dritten Narration wurde das Kollektiv um die Soundkünstlerin Mars Dietz und Schriftstellerin Anna Gien erweitert. Die Regale der vergangenen Erzählungen werden zu billigen Innenraumorganisatoren. Funktioniales Wohnen als gerätetechnischer Auto-Messianismus mit rekreativem Potential: Scharfkantige Adaption eines Rituals, welches sich der Verkörperung eines Lebens auf Zeit widmet. Behutsam entschleunigte Wucherung in wohlfühliger Umgebung. Heilung, zeitweilige Erlösung und Energy Drink für potentielle Umwälzung.
Ein Mädchen sitzt am Fenster und schüttet ihr schwarzes Haar hinunter.
Pech!, ...Marie.
Es geht steil hinunter in den Hof. Das Fenster ist gefährlich, weil offen, hoch oben im dritten Stock eines Co-Workingspace, der Yogakurse anbietet. Im goldenen Prenzlauer Berg.
Das Mädchen ist noch ein Kind und sieht schon aus wie eine alte, junge Frau von bemerkenswerter Schönheit. Sind es die Erfahrungen der Generationen von Autofensterputzern am Straßenrand die als verdünntes Sidolin-Streifenfrei durch ihre Adern fließen und ihr Wesen älter erscheinen lassen? Oder sind das nur meine verschrobenen und verschwommenen westdeutschen Großstadt-Vorurteile?
Sie ist groß und hager. Sie singt ein Lied.
Ederlezi und die Linien ihrer Handfläche schlagen den Takt auf dem Holz des Fensterkreuzes, an dem kein Jesus hängt. Lendita ich schaue in Deine brennenden Augen, die Dein Geheimnis bereits vor tausend Jahren zu glühender Kohle verbrannt haben. „Woher? Wieso? Warum?“, fragen meine müden Augenringe. Glühende Augen lösen einen Flächenbrand in mir aus. Lendita und Juana singt uns das Lied vom Leben!
Vor einer schwarzen Wand mit verwischten Kreidespuren erinnere ich mich an das andere Mädchen. Sie sieht wirklich noch wie ein Mädchen aus. Sie trägt ein graues Kleid, das einmal schwarz war. Das Sidolin Streifenfrei in den Waschgängen der Waschsalons auf ihrer Route ins Glück haben den schwarzen Farbton herausgezogen, aus ihren Adern aber nicht. Ein tiefes Schwarz geschmückt mit Blumen in den Haaren. Wollen sie, die Blumen, dazu gehören? Zu den Ikea Kinderzimmer-Einbauküchen des betreuten Arbeiten mit Kindern im Coworkingspace, der auch Yogakurse anbietet. Zu den Barbiepuppen, die ohne Berlinpass in einer Welt leben, die es gar nicht geben darf.
Ich sehe Blumen im Haar, eine schwarze Tafel, eine abgewischte Wand, mit Spuren von verschmierter Kreide, Gott sei Dank! Die Tafel gibt nur vor bemerkenswertes Wissen aufzusaugen. Aber da gibt es auch wieder nichts. Weder davor noch dahinter, noch in der Tafel. Ich höre Schreie, ich höre hölzernen Rhythmus. Ich höre und staune. Lendita schreit, so laut, so schön. Lendita schreie zum Fenster hinaus, in den Prenzlauer Berg, in die goldene Frühlingsluft. Die teilnahmslosen Fotografinnen können sie nicht überreden brav zu sein.
Das Mädchen ist schön, das weiß es. Das Mädchen ist stolz. Es ist wild und schreit.
Das Mädchen Lendita und das Mädchen Juana nehmen einen Bleistift und tätowieren ihren Namen in die blasse Haut der Raufasertapete, so wie Popstars ihr Autogramm auf Selfies kritzeln. Die Raufasertapete hängt im Flur eines Co-Workingspace, der auch Yogakurse und betreutes Wohnen für verwirrte Yuppis anbietet. Aber der Maler wird bald kommen und eure Namen werden von der schönen weißen Farbe in Vergessenheit getüncht. Eure Namen und Geschichten werden nicht erwähnt. Euren Ruhm will niemand. Euer Geschrei schon gar nicht.
Die anderen zwei Fotografinnen wissen nur ganz wenig über Juana und Lendita.
Warum sie nicht mit ihnen reden, während sie mit und für sie arbeiten, wissen wir nicht. Ein soziales Projekt. Kinder, Jugendliche, Kinder von Migranten. Wir wollen mehr von ihnen erfahren. Von Lendida und Juana. Also treffen wir sie auf ihrer Reise durch Berlin. Wir wollen die Geschichten hören, die ihre Großmütter ihnen erzählten, an Bettkanten aus Stroh, Gänsefedern, und auch von den Erbsenkeimlingen, die ihren Schlaf störten. So empfindsam sind diese Prinzessinnen dort, aus Zigeun’rien, aus GipsyBadLand. Monate später treffen wir Lendita und Juana wieder. Beim Umblättern einer Zeitschrift, einem Magazin der C/O Berlin E.V. Wir entdecken unser Foto wieder, ohne Namen, weder vom Autor noch vom wunderschönen Wesen, weder die Geschichten, nicht vom Autor, also von uns, von CargoCult, nicht vom Kind, nicht von der Familie, von dem langen Weg nach Deutschland, von dem harten Kampf der Kunst, um’ s Überleben geht es bei beiden, der Abgebildeten und der bildermachenden Künstlerin, deren Botschaft Pixel für Pixel Verantwortung und Möglichkeit programmiert.
Nur ein Abbild, keine Reflektion, nur eine Belichtung 1/1000stel Sekunde, klick-klack, Printmedium, Lendita ohne Namen und ohne Geschichte, Juana, zum gemeinnützigen Objekt heruntergehandelt. Für einen Hochglanz reflektierenden hundsgemeinen Verein, der sich mit dem wunderschönen, blumengeschmückten Elend vor schwarzgewischten Tafeln schmückt. Regiert von einer kalten Königin. Ihr langes graues Kaschmir-Flanellhosenbein verdeckt ihren Kuh-äh,.. Pferdefuß. Sie thront in einem Spiegelpalast, dessen Spiegel die Falten wie Sprünge auf der glatten undurchsichtigen Botox-Hautoberfläche erscheinen lassen. Falten, Sprünge, Scherbenhaufen.
Wir kotzen.
Wir kotzen deshalb vor ihre zwei linken Pferdefüße, weil wir nicht dem Yoga-verbrämten Think Pink Scheiß Verein angehören, im vergoldeten Prenzlauer Berg.
Also, wir kotzen, ganz viel und auch ganz eklig, aber leider dringt sie, die Kotze, das Erbrochene, Erbrechen ist ein natürlicher Reflex zur Vermeidung von Vergiftungen, nicht durch den harten Glanz der Oberfläche in das herzlose Innere des vereinten Wesens ein. (Seit 2015 bietet C/O Berlin das neue Programm Perspectives für Kinder und Jugendliche in sozial benachteiligten Lebenssituationen an. In speziell auf das jeweilige Lebensumfeld der jungen Teilnehmer konzipierten Workshops schafft C/O Berlin vielfältigen Freiraum und gibt Impulse für neue Erfahrungen und lebendige Experimente – vor Ort in Kinder- und Jugendheimen und Willkommensklassen sowie in der Education Unit bei C/O Berlin.)
Ein Bach, ein klarer wilder Bach. Weiße Blumen spielen auf seinen schwarzen Wellen.
Ein Foto in einer Zeitschrift, ohne Namen, nur Gesicht, so wie es Werbung eben schon immer macht. Ein Gesicht ohne Namen, vergessen der Name, die Blumen im Haar sind schön, die nehmen wir, vergessen die Geschichte, vergessen die Heimat, vergessen die Flucht, vergessen die Künstler, etwa vergessen, dass auch sie etwas zum Leben brauchen, die verrückten Künstler mit ihren hübschen Bildern?! Die sind nicht immer mit bekannten und wohlhabenden Hochschul- und Filmschaffenden Männern verheiratet, die ihre Brotlosigkeit mitfinanzieren. Und schon gar nicht ihre Geliebten!
Die größte Katastrophe ist das Vergessen, lese ich auf einem Plakat in riesigen schwarzen Buchstaben geschrieben, beim Vorbeifahren im öffentlichen Nahverkehrsmittellos sitzend.
Vergessen die Fotografin, vergessen und in einen tiefen Schlaf gehüllt.
Sleeping Beauty brüllt.
Das Vergessen ist ein Kopfkissen, gefüllt mit Daunenbabyfedern, am lebendigen Baby-Kückenleib aus dem Baby-Leib gerissen. Aua, bei jedem Zupfen einer weichen, wärmenden Feder.
Also, ich wieder und wieder wiederhole, je répète ( mais je ne regrette rien):
Vergessen ist das Federkissen, gedrückt auf ein unschuldiges Kindergesicht. Auf der einen Seite höre ich: „Huch!“ und „Sorry, das habe ich total vergessen und gar nicht gewollt...!?“ Und auf der anderen Seite höre ich ein Zappeln, das verzweifelt nach Luft ringt.
Und auf nochmal einer anderen Seite höre ich das Hecheln eines Herabschauenden Hundes auf einer biobaumwollenen Yogamatte und auf der gegenüberliegenden Seite höre ich eine Fahne im Sturm und ich höre den Duft des Rauches, der aus den lauten Flammen aufsteigt. Die Fahne singt das Lied von Lendita und Juana, begleitet von einem Chor von namenlosen Künstlern. Sie singen ihr Lied in die tauben Ohren einer kalten Welt, durch ein vereistes Trommelfell, eines virtuellen Tieres, das nicht nur gefährlich aussieht, sondern auch gefährlich ist. Sie singen so lange, auch wenn sie heißer sind, singen sie bis dieses Trommelfell platzt und das Biest die Orientierung verliert und sich im glänzenden Spiegelwald verirrt und verhungert.
Und die Chöre sterben nicht und leben immer weiter.
Omrans Geschichte Wir trafen Omran während unserer Arbeit als Anleiterinnen in der Textilwerkstatt eines öffentlichen Trägers. Omran war ein Teilnehmer der „Unter 25 jährigen”, ohne Ausbildung, ohne Arbeit, ohne Hoffnung. Die außergewöhnliche Begabung seine rauschende Phantasie in Zeichnungen auszudrücken ist uns sofort aufgefallen. Omran wurde von Stimmen jenseits unserer normalbegabten Vorstellungskraft daran gehindert seine Arbeit in der Textilwerkstatt fortzuführen. Die Stimmen lockten ihn weg von uns. In einem Wald von Neubauten an denen Satellitenschüsseln blühen, an der Endstation des maroden Aufzuges in der 4. Etagen nahmen wir seine Spur wieder auf. Sie führte uns in den 6. Stock des Trabanten, vor eine Wohnungstür ohne Hoffnung, ohne Namensschild, ohne Klingel.
Omrams Story We met Omran during our Work as Instructors at the textile workshop of a public body. Omran was a participant of the "Under 25s", with no education, no job, no hope. His extraordinary talent to express his rushing fantasy in drawings was immediately noticeable. Omran was unable to continue his work in the textile workshop due to voices beyond our average gifted imagination. The voices lured him away from us. In a forest of new buildings where satellite dishes bloom, we took up his trail again at the final destination of the ailing elevator on the 4th floor. It led us to the 6th floor of the guard, infront of a door without hope, without a nameplate, without a doorbell.
(Eine Daily Soap über den Arbeitsalltag in einer MAE Werkstatt am Rande des Arbeitsschutzes und weit unter dem Mindestlohn.)
Berlin, draußen:
Arbeitsamt, Herbst, kurz vor Sonnenuntergang, dichter Nebel, ein eisiger Herbststurm wirbelt alte Blätter auf. Die farblosen Agenten der Agentur für Arbeit sitzen streng aufgereiht in einem Blätterwald, unter weißen Bäumen. Die Blätter, die an den Ästen hängen sind Formulare aus grauem Umweltpapier, hinten, vorne und um Platz und Gelder zu sparen* sogar noch in der Mitte bedruckt. Das Tippen von Schreibmaschinen, die Blätter wippen im Takt zu ihrem eintönigen Klang. Alles wirkt sehr verschlafen, trotz der täuschend echten Betriebsamkeit. Dicker farbloser Agent sitzt hinter einem Schreibtisch gequetscht und bohrt in der Nase.
Geräusch: Klopfen an der Tür.
Asifa kommt mit einem elegant zum Turban gewickelten Kopftuch in aufrechter Haltung herein. Sie kämpft sich durch die abgefallenen Formular-Blätter ihren Weg zu einem sehr niederen Schemel vor dem viel zu hohen Schreibtisch. Ihr Gang wird auf dem beschwerlichen Weg zum Schreibtisch immer schleppender, ihre Haltung immer gebeugter. In dieser gebeugten Haltung schaut sie nach oben, hinauf zu dem riesigen, fetten Agenten.
Agent: Geschlecht?
Asifa, freundlich: Guten Tag!
Agent: Alter?
Asifa Natalia: ich hätte gerne... 63.
Agent: Schulabschluss?
Asifa: Abitur, ...eine Bestätigung...
Agent: Studium?
Asifa: zur Arbeitsunfähigkeit,...Medizin
Agent: Diplom?
Asifa: eins Komma Null...
Agent: ...können sie häkeln
Asifa: ähm...
Agent: Sticken?
Asifa: Nein
Agent schüttelt verächtlich den Kopf: Nähen?
Asifa: Wunden?
Agent: Nein!! Stopfen?
Asifa: Löcher?
Asifas Turban verwandelt sich in einen blutgetränkten Kopfverband. Asifa erinnert sich daran, wie sie im kurdischen Bürgerkrieg einem angeschossenen Jungen ein Loch im Kopf zu genäht hat.
Asifa: Löcher...-Ja!!
Baum raschelt vehement mit seinen Blättern, Aktenbündel fallen von den Ästen und landen mit einem Knall auf dem Schreibtisch. Staub wirbelt auf. Der Agent hüstelt.
Agent: da haben wir was für Sie.
...eine Textilwerkstatt im mittleren Osten der Stadt. Der Mehraufwand ist beschädigt. Drum nur 1 Euro 50 auf die Stunde. Zusatzverdienst kostenlos.
„Stopfen für die fadenscheinige Öffentlichkeit. E.V.“
6 Stunden, sogar ohne Pause!
Hier unterschreiben, Sie können doch schreiben, oder?
Asifa:....
Der Agent greift Asifa am Turban stempelt ihr eine Nummer auf die Stirn schmeißt sie in die Schublade eines uralten, militärgrünen verrosteten Karteikartenregales und stößt die Lade zu.
Berlin, 6:30 Uhr, Herbst
Asifa sitzt in der überfüllten U-Bahn, des modehauptstädtischen Berliner Verkehrsverbundes. Die arbeitende und deshalb völlig übermüdete Bevölkerung ist mit Mobilen Telefonen verknotet. Ein abgemagertes Supermodel, langbeinig und trotzdem arbeitslos bahnt sich einen Weg durch den Mittelgang. Das bleierne Gewicht eines Stapels hochglänzender Zeitschriften auf dem Arm lässt sie beinahe zusammenbrechen: „Guten Morgen, mein Name ist Claudia, Claudia Schiffer, ich will sie nicht nerven, aber ich bin arbeits- und obdachlos, verkaufe für ein gesundes blankes Knäckebrot meine Seele inklusive dem Abo der deutschen Vogue“ Hinter ihr in einer Schlange aufgereiht der schwule Bürgermeister: „Guten Tag, ich bin bald arbeitslos und will sie nicht nerven...“
Berlin, früher Morgen, eiskalt
Verwaiste Strasse führt zu einem verwaisten Hinterhof eines verwaisten Industriegebietes. Der Wind weht zerknülltes, vergilbtes graues Ämter-Papier vor sich her und weist Asifa den Weg zu ihrer neuen Arbeitsstätte. Auf einem ausgedrucktem Din A 4 Papier mit Paketklebeband an die nackte Wand angeklebt steht in schäbigen Buchstaben: „Werkstatt der Stopfen für die fadenscheinige Öffentlichkeit E.V.“
Drinnen: Schmutziges Sonnenlicht kämpft sich durch die zerknickte Jalousie einer schmierigen Fensterscheibe und wirft einen Schlagschatten auf das tätowierte Gehirn eines alkoholsüchtigen Ex-Häftling und Heimkind mit Migrationshintergrund.
Zur selben Zeit an einem anderen Ort der Metropole....
* nicht etwa aus umweltschonenden Gründen
(A daily soap on the everyday work in a MAE workshop on the outskirts of occupational safety and well below the minimum wage.)
Berlin, outside:
Labour Office, autumn, just before sunset, dense fog, an icy autumn storm whirls up old leaves.
The colourless agents of the Employment Agency sit strictly lined up in a forest of leaves, under white trees. The leaves that hang on the branches are forms on gray recycled paper, back, front, and to save space and money * even printed upon in the center. The tapping of typewriters, the leaves bouncing in time with their monotonous sound. Everything seemed very sleepy, despite the deceptively real activity. Fat colourless agent is squashed behind a desk and picking his nose.
Noise: knock on the door.
Asifa comes in with an elegant turban wrapped headscarf to enter into an upright position. She struggles through the fallen form-leaves to get to a very low stool in front of the excessively high desk. Her journey to the desk is increasingly sluggish, her stance remains bent. In this flexed position she looks up, up at the huge, fat agent.
Agent: sex?
Asifa friendly: Good day!
Agent: age?
Asifa Natalia: I would like a ... 63.
Agent: Graduate degree?
Asifa: High School, ... confirmation ...
Agent: Studies?
Asifa: for my inability to work… medicine ...
Agent: diploma?
Asifa: one point zero ...
Agent: ... can you crochet
Asifa: um ...
Agent: Do embroidery?
Asifa: No
Agent shakes his head disdainfully: sewing?
Asifa: wounds?
Agent: No !! Plug?
Asifa: holes?
Asifas turban turns into a blood-soaked head bandage . Asifa remembers how she had to sew a hole in the head of a wounded boy in the Kurdish civil war.
Asifa: holes ...- Yes !!
Tree rustles vigorously with its leaves, bundles of papers fall from the branches and land on the desk with a bang. Dust swirls. The agent coughs.
Agent: well then we have something for you.
... a textile workshop in the middle east. The additional cost is damaged. Therefore only 1 euro 50 for the hour. Extra Income free. "Plug for the specious public. E.V. " 6 hours, even without a break! Sign here, you can write, right?
Asifa: ....
The agent grabs Asifas turban and stampes a number on her forehead and throws her into the drawer of an ancient, military green rusted flashcards shelf and pushes it closed
Berlin 6:30 am, autumn
Asifa sits in the crowded subway, of the fashion capital Berlin's transport network. The working and therefore completely overtired population is interlinked through mobile phones. An emaciated supermodel, long legged and yet unemployed ,blazes her way down the aisle. The heavy weight of a stack of high-gloss magazines on the arm almost make her collapse: "Good morning, my name is Claudia, Claudia Schiffer, I don’t want to bother, but I'm unemployed and homeless, I will sell my soul including the subscription to German Vogue for a healthy bare crisp bread.”
Behind her standing in a queue the gay mayor says: "Good day, I will soon be unemployed and do not want to annoy you ..."
Berlin, early morning, ice-cold
Abandoned road leads to a lonely backyard of a deserted industrial area. The wind is blowing crumpled, yellowed grey office paper around and guides Asifa to her new workplace. Glued on a hard Din A 4 paper with packing tape on the bare wall is written in shabby letters: "Workshop of the plug for the specious public EV"
inside: discolored sunlight struggles through the bruised blind of a greasy window and casts a shadow onto the tattooed brain of an alcohol-addicted ex-con and foster child with an immigration background.
At the same time in another place of the metropolis…